20°C, 6 Uhr, warme Morgensonne und Männer in knappen Höschen. Der Geruch frischer Erde und das Schnauben sich im Schlamm wälzender, durchtrainierter Wrestler begrüßen uns. Wir lernen Kushti, das traditionelle Ringen in Indien, kennen. Daneben: tägliche Gebets- und Waschrituale im Fluß Hugli in Kolkata.

 

Der Siyaram Akhara am Mullick Ghat in Kolkata

Morgens um 5.30 Uhr machen wir uns mit einem Taxi auf den Weg an das Ufer des Hugli (auch Hooghly), ein Nebenarm des heiligen Ganges, den wir in Varanasi besucht haben. Auf Höhe des Blumenmarktes  (Mullick Ghat Flower Market) an der nahegelegenen Rabindra Setu (bengalisch = রবীন্দ্র সেতু; dt. = Rabindra-Brücke), besser bekannt als Howrah Bridge, gibt es eine kleine Wrestler-Schule, auf Hindi Akhara genannt. Sie wird von Guru Jwala Tiwari betrieben, der auf nationaler Ebene erfolgreich als Wrestler unterwegs war. Inzwischen gibt er am Fluss seinen Schatz aus Erfahrung und Wissen als Ringer an jüngere Generationen weiter. Gleichzeitig ist er der Priester des dem Akhara angeschlossenen Hindu-Tempel. Von ihm trainierte Ringer finden sich oft auf nationaler Ebene wieder. So nehmen auch einige erfolgreiche Kampfsportler Kushti, das traditionelle Ringen im Schlamm als Basis für die moderne Mattenvariante, denn (leider) nur mit dieser wiederum lassen sich olympische Medaillen gewinnen.

Jwala Tiwari versprüht eine wahnsinnig positive Energie. Sein Schüler Rahul eifert ihm nach. Rahuls Augen glänzen, als er uns alles übers Ringen und dessen Bedeutung in allen Belangen erzählt. Er ist fast nicht zu stoppen. Er lebt seine Leidenschaft und schaut zu seinem Guru auf. Das tägliche Training nach dem Morgengebet findet von 4 bis 8 Uhr statt. Rahul steht dafür jede Nacht um 3 Uhr auf. Wie viele seiner Mitstreiter nimmt er den langen Weg bis nach Kolkata jeden Tag auf sich, um erfolgreich zu ringen. Eiserne Disziplin. Strikte vegetarische Ernährungsweise, Entsagung von Alkohol und Rauschmitteln und Zölibat schärfen den Fokus auf ein einfaches pures Leben. Auf diese Weise bauen die Wrestler ihre Stärke auf, um in Zukunft vielleicht ein neuer Champion im Pehlwani bzw. Kushti, dem traditionellen Ringen in Indien, zu werden.

Kushti, das traditionelle Ringen in Kolkata wird von einem Wrestlerteam jeden Tag trainiert.

 

Der Kampfplatz im Kushti

Der Kampf und das Training finden in einem viereckigen Käfig statt, dessen Boden mit frisch aufgewühltem und tiefem Schlamm bedeckt ist. Dieser ist aus dem Ganges und wird mit Salz, Öl, Kurkuma, Blättern vom Niembaum und Milch gemischt. Die Mischung hilft die Muskeln zu beruhigen und die Körpertemperatur aufrechtzuerhalten. Nur wer die traditionelle Ringerkleidung, ein Fetzen Stoff um die Genitalien und den Po gebunden, trägt, darf den Käfig betreten. Fotos machen, ist nur mit der offiziellen Erlaubnis von Guru Jwala Tiwari gestattet und mit Spenden begleitet. Da er zum großen Teil von diesen Spenden lebt und den Betrieb aufrechterhält, werden sie entsprechend erwartet. Zu Recht. Und das ist es allemal wert, denn so ein Erlebnis mit allen Erklärungen und Übungen und Showkämpfen bekommt man nicht alle Tage.

 

Kushti als Tradition in Indien

Im Grunde ist das traditionelle indische Ringen eine Art Subkultur, die in der heutigen Moderne in Vergessenheit zu geraten scheint. Daher ist es umso bewundernswerter, das mit einfachsten Mitteln und Spenden so kleine Trainingszentren am Leben erhalten werden, damit die Tradition weiterlebt. Wer in Kolkata Stopp macht, der sollte auf jeden Fall am Mullick Ghat vorbeischauen und sich in den sehr frühen Morgenstunden die Zeit nehmen, Jwala Tiwari und seine Schüler kennenzulernen.

CLOSE MENU